Weshalb Allparteienregierungen besser sind: Debatte ins Parlament führen


Norbert Aepli, Switzerland [CC BY 2.5], via Wikimedia Commons
In Bezug auf die aktuelle Diskussion, ob ne große Koalition auf Bundesebene gebildet werden sollte oder nicht bzw. die allgemeine Problematik, eine Regierungskoalition zu bilden, wird als Pro-Argument für eine Minderheitsregierung angeführt, dass es die politische Kultur stärkt. Die Debatte wird von den Koalitionsrunden wieder ins Parlament getragen, man muss sich für jedes Gesetz Mehrheiten suchen (und sich ggf. an die anderen Parteien anpassen). Rasmus Andresen und die Zeit haben überzeugend dargestellt, warum das so ist.
Den gleichen Vorteil haben aber auch Allparteienregierungen als das andere Extremum. In der Schweiz ist das nach der sogenannten Zauberformel schon lange üblich. Der aktuelle Fall, dass Deutschland seit 100 Tagen keine handlungsfähige Regierung hat, ist da gänzlich ausgeschlossen.

Der Zwang zum Kompromiss in Koalitionen, wie er in den Jamaika-Sondierungsgesprächen besonders in Erscheinung trat, entfällt, denn das Parlament entscheidet unabhängig von Koalitionen – die Parteien/Fraktionen entscheiden danach, wie es ihrem Programm entspicht, nicht nach den Kompromissen, die in einer Koalition beschlossen wurden. Bei "herkömmlichen" Koalitionen werden alle Zielsetzungen der Parteien in einen großen Suppentopf getan, und dann ein gemeinsamer Brei draus gekocht, was ich gerne als großen Kuhhandel bezeichne (vor allem in Bezug auf die GroKo).
Die Ehe für alle wäre schon lange vorher beschlossen worden. Da war die SPD durch die GroKo an der Zustimmung zum Gesetz gehindert.
Es gibt natürlich Fälle, wo man aus sachlichen Gründen zum Kompromiss gezwungen ist – es kann nicht gleichzeitig eine Mehrheit dafür geben, die Steuern zu senken und die Ausgaben zu erhöhen, ohne es gegenzufinanzieren. Das regelt sich dann aber von selbst, es ist davon auszugehen, dass keine Mehrheit im Parlament sich widersprechenden Dinge beschließt.

Es würden aber auch nicht wenige Prozentpunkte darüber entscheiden, ob es eine komplett andere Regierung gibt.
Wenn man sich z. B. die denkbar knappe Landtagswahl in Niedersachsen 2013 ansieht, hatten damals CDU+FDP 45,9 % gekriegt und SPD+Grüne 46,3 %. Wenige Stimmen mehr für CDU+FDP hätten dazu geführt, dass das gegnerische Lager gewinnt. Nicht nur, dass eine Partei in der Regierung trotzdem vertreten ist und eine andere dafür nicht (CDU/SPD statt CDU/FDP), sondern die zwei Sieger wären beide in der Opposition gewesen, die zwei Verlierer beide in der Regierung.
Das Modell der Schweizer Zauberformel schließt das aus: danach hat eine Stimmenverschiebung von ein paar 0,x % niemals eine komplett andere Regierung zur Folge, sondern jedes Lager ist in der Regierung, dem Schweizer Bundesrat, vertreten. Wenn eine Partei Stimmen abgeben muss, dann bekommt sie, wenn der Stimmenverlust entsprechend groß ist, einen Posten weniger in der Regierung (oder auch gar keinen mehr). Andere Parteien bekommen dafür mehr Sitze.
Man beachte: es ist jedes Lager in der Regierung vertreten, aber nicht jede Partei. Die vier größten Parteien sind im Bundesrat vertreten, die anderen nicht. In der Schweiz gibt es jedoch 7 Departements, was Ministerien entspricht, während es hier 14 Ministerien gibt. Damit wären sicherlich auch die kleinen Parteien in der Regierung vertreten. Und wenn von einer Partei kein Minister in die Regierung gewählt werden würde, wie von der AfD, dann wäre das eben so. Ein verfassungsrechtlichen Anspruch auf einen Posten in der Regierung gibt es auch in der Schweiz nicht, es ist lediglich eine informelle Vereinbarung.
Ich habe schon das Gegenargument gehört, dann wäre die AfD die einzige Oppositionspartei. Aber nein, das muss nicht negativ sein. In einer Allparteienkoalition muss es nicht wie in einer normalen Regierung zugehen – im Gegenteil, das Konkurrendenken der Regierungsparteien würde gestärkt werden. Es muss keine Partei das Regierungshandeln besonders gut darstellen, weil kein Zwang zum Kompromiss besteht und dazu, diesen gegenüber der Bevölkerung zu verkaufen. Man kann sich besser abgrenzen.

Das Prinzip, dass Parteien aller Lager in der Regierung vertreten sind, hat zwar aus grüner Sicht den Nachteil, dass es so nie zu einer rot(-rot)-grünen Regierung kommt, dafür kommt es aber auch nicht zu schwarz-gelb, sondern ggf. muss schwarz-gelb eben Posten in der Regierung an rot-grün abgeben, wenn die Stimmenverluste/-gewinne entsprechend groß sind, oder umgekehrt. Jedes Lager ist in der Regierung vertreten, und jede Stimme bekommt so Bedeutung bei der Regierungsbildung, unabhängig davon, für welche Koalition sich die Parteien entscheiden oder nicht entscheiden.
Zum Kohleausstieg käme es so wahrscheinlich erst um einiges langsamer im Vergleich zu Jamaika oder rot-(rot-)grün, denn wenn es kein Zwang zum Kompromiss gibt, bedeutet das eben auch, dass wir Grünen das nicht auf die Art durchsetzen können. Bei Jamaika gab es einen Zwang zum Kompromiss, daher mussten die Union und FDP Zugeständnisse machen. Nach dem Schweizer Modell ist das nicht der Fall.

Die Demokratie gewinnt dadurch aber meines Erachtens, auch wenn wir Grüne nicht nur Vorteile davon haben. Und wer weiß, vielleicht werden einzelne grüne Ideen auf die Art bei den anderen Parteien mehrheitsfähiger, weil die Debatte mehr in der Öffentlichkeit als in Koalitionsrunden geführt wird. Oder wir gewinnen so an Stimmen.

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